Als meine Schläfen langsam ergrauten und die Lachfältchen durch etwas viel zeitgemäßeres ersetzt wurden, musste ich mich immer häufiger der Frage aus dem Bekannten- und Freundeskreis stellen, warum ich mich überhaupt noch mit Videospielen abgebe. Auch wenn mir persönlich diese Frage total unsinnig vorkommt, so herrscht doch überwiegend allgemeines Unverständnis in unserer Gesellschaft über die bloße Existenz von „älteren“ Gamern. Als meine eigene Frau mich dann einmal fragte, wann „das denn aufhöre“, antwortete ich aus dem Bauch heraus mit: „Nie!“. Und ich meinte es auch so.

Als ich 2009 mit ein paar Freunden den Videospiele-Blog Zockwork Orange gründete war ich ein leidenschaftlicher Gamer, hatte aber weder einen journalistischen noch einen reflektierenden Zugang zu Videospielen. Das hat sich erst mit der Zeit entwickelt und ich wage einmal zu behaupten, das dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist bzw. je sein wird. Das Schreiben über Games hat mir aber geholfen, für mich selbst viel besser definieren zu können, was ich an Spielen besonders mag und warum (zum Teufel!) ich überhaupt so viel Zeit in Videospiele investiere.

Hier und jetzt spiele ich Videospiele aus drei Gründen. Aus einer rein eskapistischen, einer prosumentischen und einer historischen Motivation heraus. Klingt hochgestochen, was?! Ist es aber nicht.

Der Eskapist in mir sehnt sich danach, dem langweiligen Alltagsleben zu entkommen und etwas aufregendes zu erleben. Der Begriff „Eskapismus“ ist in unserer Gesellschaft eher negativ belegt, wird er doch auch gerne mit „Realitätsflucht“ oder „Flucht vor der Wirklichkeit/aus dem Leben“ umschrieben. Für mich persönlich ist Eskapismus das Entkommen aus dem privaten Alltag zwischen Hausputz und Supermarktbesuch. Ein Ausbrechen aus der stromlinienförmig eintönigen Anzugswelt, in der ich mich tagsüber bewege. Ein Ausstieg aus der belanglosen Smalltalk- und Profitgier-Gesellschaft. In Videospielen komme ich zur Ruhe, lasse mich treiben, erforsche und entdecke, bin interessiert und leidenschaftlich, ich flüchte mich in eine andere, nicht immer bessere Welt. Ganz einfach darum, das Hier und Jetzt ein wenig leichter ertragen zu können.

Außerdem mag ich es einfach nicht mehr, mich nur noch stumpf berieseln zu lassen. Im Kontext des Web 2.0 sprach man von Prosumenten, wenn sie das Internet nicht nur konsumierten, sondern über eigene, selbst erstellte Inhalte (Fotos, Blogs, Kommentare,…) zu Produzenten wurden. Diesen Gedanken habe ich jetzt einfach mal eigenmächtig auf das Videospielen übertragen. Ich liebe es, wenn mir ein Spiel die Möglichkeit gibt, selbst in das Spielgeschehen einzugreifen. Wenn Entscheidungen, die ich als Spieler getroffen habe, Auswirkungen auf den Verlauf der erzählten Story oder sogar das Ende der Geschichte haben, dann begeistert mich das. Oft reicht mir sogar schon die Illusion dieser Entscheidungsgewalt, wenn sie nur gut genug inszeniert ist. Die moderneren Videospiele schaffen es immer besser, uns Spielern eine perfekte Immersion zu bieten und uns bei der Erzählung der Geschichte noch das Gefühl zu vermitteln, das wir den Weg für die Protagonisten ebnen. Ein tolles Gefühl, das kein Hollywood-Blockbuster und kein Klassiker der Literatur jemals vermitteln kann.

Und in letzter Zeit ist da noch das historische Interesse an Videospielen und deren Entstehungsgeschichte geweckt worden. Bei mir kam die Retro-Liebe tatsächlich erst spät im Leben (nach meinem 45. Geburtstag), dafür aber umso intensiver. Und so hole ich neuerdings nicht einfach nur den ein oder anderen Klassiker nach, sondern beschäftige mich auch mit der Entstehung, den Autoren und dem zeitlichen Kontext, in dem das Spiel entstanden ist.

Ja, das ist sie, meine Motivation hinter der Zockerei. Die Suche nach der vollkommenen Immersion bei gleichzeitiger Kontrolle über den Verlauf der Geschichte. Natürlich muss ich dabei noch überrascht, gefordert und auch hin und wieder mit dem totalen Kontrollverlust konfrontiert werden. Ich brauche den Twist, die Herausforderung und auch den Schmerz. All das finde ich in Videospielen. Mal mehr, mal weniger. Aber kein anderes Medium schafft dies über all die Jahre hinweg so gut (und immer besser), wie das Videospiel.

Keine Ahnung, wie sich das weiter entwickeln wird. Mobile Games, Virtual Reality, AAA-Indies und weitere interessante Entwicklungen krempeln den Markt für Videospiele regelmäßig um. Das alles rückt Videospiele auch immer mehr in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit. Was am Ende vielleicht auch die Frage obsolet werden lässt, warum ich in meinem gesetzten Alter immer noch spiele? Weil ich es liebe!